STOFF
Zirkuläres Musiktheater
Digitales Programmheft
gefördert von:
STOFF
Zirkuläres Musiktheater, Uraufführung
MIT
Mensch/Sonne Sophia Maeno *
Livius, die Taube Sebastian Köppl
Paria, die Taube Martha-Luise Urbanek **
Chor der Aschenputtel
Kinderchor der Nils-Holgersson-Schule
Kinderchor des Mecklenburgischen Staatstheaters und des
Konservatoriums Schwerin
Solo-Aschenputtel Florentina Stoll
Schlagzeug Axel Meier
Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin
*als Gast
**Mitglied des Norddeutschen Opernstudios
Musik Elisabeth Naske
Text und Regie Nina Gühlstorff
Musikalische Leitung Heng Che
Ausstattung Marouscha Levy
Video Ben Artmann
Elektronik Alexander Bauer
Choreographie Marie-Laure Fiaux
Dramaturgie Saskia Kruse
Workshopleitung Ronja Kindler, Axel Meier
Leitung Kinderchor der Nils-Holgersson-Schule Reinhild Köhncke
Leitung Kinderchor des Staatstheaters und des Konservatoriums Schwerin Josephine Johannßen
Einstudierung Tatiana Gasparyan
Regieassistenz Toni Deutsch
Ausstattungsassistenz Anneke Frank
Inspizienz Christina Hennigs
Fotos Silke Winkler (von der Generalprobe am 04. April 2024)
STOFF
Zirkuläres Musiktheater, Uraufführung
Studienleitung Martin Schelhaas
Repetition Heng Che, Yewon Shin
Orchesterdirektion Gesa Johanns
Technischer Direktor Hans Hoffmann
Technischer Produktionsleiter, Stellv. Techn. Direktor Mirko Hirsch
Konstruktion Matthias Kropp
Bühneninspektorin Larissa Gund
Beleuchtungsinspektor Hannes Ruschbaschan
Leitung Videoabteilung Ben Artmann
Leitung Tonabteilung Joseph Homp
Leitung Requisite Ganna Vynogradova
Leitung Statisterie Paul Zeplichal
Bühnenmeister Steffen Bendin
Beleuchtungsmeisterin Anke Koch
Requisite Svenja Ming Billib, Hagen Ulbrich
Kostümdirektorin Silke von Patay
Assistentin der Kostümdirektorin Gisela Hillmann Gewandmeisterinnen Ramona Andruschkewitsch, Vera Färber, Andrea Petrow
Hut und Putz Angelique Steindorff
Chefmaskenbildnerin Sophie Skowronek
Maske Bianca Mai, Carla Volmerg, Kathrin Ende, Ellen Studt, Johanna Maria Pfitzner, Ann-Marie Harring
Leitung Werkstätten Mirko Hirsch
Malsaalvorstand und Leitung Dekoration Ute Rohrbeck
Leitung Tischlerei Ronald Pick
Leitung Schlosserei Peter Frahm
IN DEN VIDEOS
Marco Strack von der Schweriner Abfallentsorgungs- und Straßenreinigungsgesellschaft mbH (SAS)
Prof. Dr. Michael Braungart Chemiker, entwickelte zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough das Prinzip Cradle to Cradle (C2C)
Fritzi Prell Aktivistin in Schwerin
Prof. Dr. Peter Adolphi Geschäftsführer der Akademie Nachhaltige Entwicklung Mecklenburg-Vorpommern
Veronika Busch Systemdesignerin, Expertin für Nachhaltigkeitstransformation, Innovationscoach und Prozessbegleiterin
Romy Gerke Kind
STOFF
Zirkuläres Musiktheater, Uraufführung
Alpha und Omega, von A bis Z, vom Vorspann bis zum Abspann – wir sind an lineare Erzählungen gewöhnt. Kein Wunder! Denn die meisten Menschen stellen sich einen gerichteten Pfeil vor, wenn sie an das Vergehen der Zeit denken – einen Zeitstrahl. Diese Linearität spiegelt sich auch in unserem Verhalten – insbesondere in Bezug auf Produktion und Konsum – wider: Wir produzieren ein Produkt, wir nutzen oder konsumieren es und was übrigbleibt oder nicht mehr brauchbar ist, schmeißen wir weg. Für die Konsumenten endet die Geschichte hier. Doch wo ist „weg“? Was passiert eigentlich mit den Dingen, die „weg“ sind?
Die Natur kennt keine Linearität. Sie funktioniert in Kreisläufen – der Baum wächst, blüht, stirbt, verrottet, wird zu Humus, woraus ein neuer Baum entstehen kann. Die Natur kennt nur Nährstoffe, keinen Müll oder Abfall. Schauen wir in unsere Produktwelt, so fällt auf, dass auch hier der Müll zu großen Teilen als Wertstoff, Rohstoff oder Nährstoff gedacht wird. Es wird bereits versucht, die Kreise wieder zu schließen, die wir mit unserem Umgang mit Rohstoffen unterbrochen haben. Denn die Rohstoffe werden knapp, die Erde immer zugemüllter und die Luft immer unreiner. Zeit, sich mit den Kreisläufen unserer Welt auseinanderzusetzen.
Im Laufe der Arbeit an Stoff haben wir mit einer Vielzahl an Expert:innen gesprochen – über Rohstoffkreisläufe, Produkt-design, Geschäftsmodelle, Gedankenspiele, Deponien, Trans-formation, Teilhabe und Champagner. Dabei stellten wir fest: Es läuft schon ziemlich viel ziemlich gut! Alle Expert:innen haben uns eine positive Vision der Zukunft gemalt, obwohl es trotzdem noch ganz schön viel zu tun gibt.
Aschenputtel
In der Grimm’schen Version des Märchens Aschenputtel muss das Mädchen Linsen und Asche voneinander trennen, um auf den Ball gehen zu können. Aschenputtel muss voneinander trennen, was die Stiefmutter durcheinandergebracht hat. Zwei Tauben kommen dazu und fragen, ob sie Aschenputtel helfen sollen, worauf sie sagt: „Ja, die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen.“ Die Tauben sind es auch, die ihr raten, zum Baum zu gehen, der auf dem Grab ihrer Mutter wächst, und sich ein Kleid zu wünschen. Denn sie braucht ein Kleid, um auf den Ball gehen zu können.
Unsere Aschenputtel trennen keine Linsen von Asche, sondern Plastik von Papier; sie tanzen auch nicht auf dem Ball des Prinzen, sondern auf dem Ball der Zukunft. Sie stehen vor der großen Aufgabe, eine kaputte Welt wieder gesund machen zu müssen. Wollen wir sie mit dieser Aufgabe allein lassen?
Sonne
Die Texte, die die Sonne singt, sind eine Zusammenstellung aus altägyptischen Gebeten/Lobgesängen an den Sonnengott Ra sowie Lobgesängen an die Gottheit Amaterasu des (japanischen) Shintō, die Sonne und Licht repräsentiert. Aus dem Englischen übersetzt von Saskia Kruse.
Partizipation / Workshops
In Stoff wird der Konsument zum Prosument – die Zuschauer:innen zu Akteur:innen. In vier verschiedenen Mini-Workshops packen sie selber an, stellen sich den Emotionen, tauschen sich aus oder aber bringen die Bühne wieder in den Zustand, dass sie direkt wieder für die nächste Vorstellung bereitsteht – ein geschlossener Kreislauf.
Begleitend zum Musiktheaterprojekt haben wir ein umfangreiches Rahmenprogramm angeboten, bei dem wir die Auseinander-setzung mit dem wichtigen Thema der Rohstoffe und ihrer Wege vertieft haben: Schulworkshops, Gesprächsformate und Nachbesprechungen.
Im Vorfeld zu Stoff bot die Theaterpädagogin Ronja Kindler einen Workshop für Schulklassen an, der spielerisch in die Themen des Projekts einführt. In dem Workshop setzten sie sich künstlerisch mit dem Thema Nachhaltigkeit, Umwelt und Kreisläufen auseinander. Alltägliche Gegenstände und Müll verwandelten sich zu Material für kleine Szenen. Und neben dem szenischen Spiel beschäftigten sie sich auch auf theoretischer Ebene mit den Themen des Stück. So erhielten die Teilnehmer:innen schon vorab ein Verständnis für Stoff und sind für den Stückbesuch vorbereitet.
Außerdem hatten wir im Rahmen der Reihe Reden hilft! Prof. Dr. Michael Braungart zu Besuch in Schwerin. Er hat von seinem Prinzip „Cradle to cradle“ erzählt und berichtet, wo es in der Produkt- und Konsumwelt schon gut läuft und wo nicht. Dabei entstand – wie immer bei diesem Format – ein reger Austausch mit dem Publikum.
Das Begleitprogramm ist von der Horizonte-Stiftung und der NUE-Stiftung gefördert.
SIN-Beratung
Bereits seit zwei Jahren gibt es am Mecklenburgischen Staatstheater eine Arbeitsgruppe, in der sich Mitarbeitenden aus den verschiedensten Gewerken – von Malersaal und Kostümabteilung über Schauspiel bis hin zur Bühnentechnik – mit der Frage nach Nachhaltigkeitstransformation innerhalb unseres Betriebes auseinandersetzen. Zusätzlich dazu wurde das Staatstheater als eine von acht Kultureinrichtungen in Deutschland ausgewählt, um am Förderprogramm „Start in die Nachhaltigkeit“ (SIN) teilzunehmen. Das Programm wurde geschafften von der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel gemeinsam mit Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien (ANKM). Ziel der Beratung war die Erleichterung des Einstiegs in einen strategischen Nachhaltigkeitsprozess und der selbstverantwortliche, ganzheitliche und chancenorientierte Vollzug der notwendigen ökologischen Transformation.
Im Rahmen dieser Beratung wurde Stoff als Pilotprojekt mit Nachhaltigskeitsambition und –anspruch in der Beratung integriert. Zwar werden im Theater häufig Materialien wiederverwendet, doch bei Stoff wurde ein ganz besonders strenges Auge darauf geworfen, so wenig wie möglich neu anzuschaffen – und dass das, was angeschafft wurde, nicht aus Mischmaterialien ist, sodass es leicht zu recyceln ist, oder dem Theater auch bei zukünftigen anderen Projekten von Nutzen sein kann (wie z. B. die Windmaschinen).
Kostüme
Gekauft: Stoff für 1 Hosenanzug, Stoff für Kostüm Sonne, 2 Pullover, 2 Jogginghosen, 1 Paar Schuhe, Schmuck, 1 Kleid im Kinderchor, Unterhemden, Socken, Leggings, 1 Bluse, Nagellack
Second Hand: Schuhe
Fundus: Grüne Stoffe, graue Stoffe, 2 Paar Schuhe, Hüte, alle Kleider vom Kinderchor
Die beiden Hosenanzüge der Figur des Menschen sowie die Kostüme der Tauben und der Sonne sind Anfertigungen der Kostümabteilung speziell für diese Produktion.
Bühne & Requisite
Gekauft: Windmaschinen, ocean plastic Plastiktüte
Fundus: Plastikplanen (stammen aus der Produktion Das schlaue Füchslein), Requisiten
Sammelaktion unter der Belegschaft des Theaters: Plastikmüll, Papiermüll
MUSIK
Mit der Komposition von Stoff knüpft die Komponistin Elisabeth Naske an ihr reiches Schaffen an, das bereits 17 Musiktheaterwerke umfasst, davon sieben Kinder- bzw. Familienopern. Sie hat sich mit ihren Vertonungen von Kinderbüchern und neu geschriebenen Geschichten einen herausragenden Namen im Bereich Musiktheater für Kinder und Jugendliche in Europa gemacht. Sie erhielt Kompositionsaufträge von der Wiener Staatsoper, der Wiener Volksoper, dem Theater Luzern, den Salzburger Festspielen, der Philharmonie de Paris, der Philharmonie Luxembourg u. v. a.
In ihrer Musik spielt sie gekonnt mit der Grenze zwischen Eingängigem und Anspruchsvollem. Naskes Musik ist eine, „die sich souverän durch einen Stilpluralismus von Neobarock und –klassik über romantische und impressionistische Gefilde bis zu Kakophonie und Cluster bewegt“, wie der Standard schreibt, mit einer sicheren Hand für Klangfarben, Rhythmus, Charme und Witz.
Sie selbst studierte Violoncello in Salzburg Basel und war Mitglied des Gustav Mahler Jugendorchesters unter der Leitung von u. a. Claudio Abbado. Von 1998 bis 2003 nahm sie Kompositions-unterricht bei Tristan Schulze in Wien. Mit der Vertonung des Kleinen Ich-bin-Ich von Mira Lobe im Jahr 2001 begann ihre Tätigkeit im Bereich des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche.
DANK
Wir danken sehr herzlich unseren Interviewpartner:innen aus den Videos (Marco Strack, Prof. Dr. Michael Braungart, Fritzi Prell, Prof. Dr. Peter Adolphi, Veronika Busch und Romy Gerke), Benedikt Wanner, sowie von der IAG Ihlenberg Henry Forster, Yvonne Peters, Rainer Paegelow und Manja Ziehm; von der SAS Schwerin Stephan Wilmer und Thoralf Rhinow.
Schlaglichter auf die Geschichte des Abfalls
Die Natur kennt keine Abfälle, sie kennt nur Nährstoff. Müll an sich ist ein etabliertes Konzept und als solches auch sehr jung. Im Großteil der Menschheitsgeschichte gab es nur Wertstoffe und Rohstoffe; Abfälle waren zumeist biologischer Natur: Fäkalien, Essenreste. Rohstoffe wurden in Kreisläufen geführt - das meiste wurde wiederverwertet oder zurück in biologische Kreisläufe gebracht. Erst ab der Industrialisierung hatte die Entsorgung Vorrang gegenüber dem Recycling und das Wegwerfen wurde kultiviert.
Steinzeit
Die Steinzeit wurde lange für eine “abfallfreie Zeit” gehalten. Doch schon hier hinterließen die ersten Menschen Reste an den Orten, an denen sie verweilten. Reste, die sie für unbrauchbar hielten: Produktionsabfälle aus Stein (stumpfe Feuersteinklingen, die auch zu stumpf geworden waren, um sie für Kratzer zu nutzen). Die Entscheidung, ob etwas Müll ist, war immer gekoppelt an die Frage, ob man es nicht doch noch irgendwie verwenden kann. Die zurückgelassenen Hinter-lassenschaften wurden von der Natur verschluckt.
Jungsteinzeit / frühe Sesshaftigkeit
Im dänischen Ertebølle finden Archäo-log:innen einen sog. Køkkenmøddinger, übersetzt Küchenabfallhaufen. 1500 Jahre lang haben frühe Menschen hier die Schalen der Muscheln abgeworfen, von denen sie sich ernährt haben. Ein riesiger Haufen entstand - eine vorzeitliche Mülldeponie. Auf dem Berg lebten die Menschen.
Frühe Städte
In den frühen Städten wurden Abfälle zu einem Problem, wobei es auch hier hauptsächlich Essenreste, Fäkalien und tote Organismen, z. T. auch Verstorbene betraf. All das landete in den engen Flächen zwischen den Häusern und unter den Wohnräumen und sorgte bereits 7000 v. Chr. für Hygieneprobleme, die im Mittelalter wiederkehren würden.
Antikes Rom
Das antike Rom - die erste große Metropole. Um dem Abfallproblem Herr zu werden, gab es drei große Innovationen:
Exkurs: Verpackungen
Die Notwendigkeit, Dinge (insbesondere Nahrungsmittel) zu transportieren, gibt es ebenfalls bereits seit der Steinzeit. Dementsprechend gab es verschiedene Strategien, die Produkte für den Transport sicher zu verpacken.
Steinzeit
Verpackungen aus Birkenrinde, die drei- bis viermal verwendet werden konnte, bis sie unbrauchbar wurden.
Jungsteinzeit / frühe Sesshaftigkeit
Geflochtene Körbe, Fässer aus Holz, Behälter aus Glas oder Metall.
Entdeckung der Keramik! Bis zur Entdeckung des Plastiks war Keramik die wichtigste Verpackungsmethode. Aber: Geht Keramik kaputt, ist sie automatisch Müll.
Antikes Rom
Der Monte Testaccio, Roms 8. Hügel, ist menschengemacht: eine antike Müll-deponie. Hier wurden Öl-Amphoren de-poniert, die aufgrund ihrer Inhalt zu stark rochen und somit unbrauchbar geworden waren. Keramik war billig und wurde so zum ersten Einwegbehälter: Es war günstiger, sie neu herzustellen, als sie an den Ursprungsort zurückzubringen. Andere ge-brauchte Amphoren landeten auf spe-ziellen Marktplätzen, wo sie für andere Zwecke weiterverkauft wurden: Zement-herstellung, Straßenreparatur, Mauer-fundamente, Abwasserrohe. Erste antike Recyclinghöfe.
© CEIPAC, UNIVERSITÄT BARCELONA (AUSSCHNITT)
Mittelalterliche Städte
Die römischen Errungenschaften waren lang in Vergessenheit geraten. Die Menschen entsorgen die Abfälle (Fäkalien, Essensreste) auf der Straße oder in Ehgräben (engen Passagen zwischen den Häusern). Die flüssigen Bestandteile flossen in die Flüsse ab, die festen wurden von den Bauern für die Felder abgeholt. Die Straßen waren ein stinkender Morast, nur mit hohen Schuhen trockenen Fußes passierbar.
Dennoch gab es kaum Müll; alles wurde wieder- oder weiterverwendet. So wurde z. B. aus Lumpen Papier hergestellt und Lumpensammler gingen durch die Straßen und sammelten ein, was noch nutzbar war: Felle, kaputtes Glas, Metalle und eben Lumpen. Durch die hohe Nachfrage nach Papier, war auch die Nachfrage nach Lumpen hoch und der Beruf des Lumpensammlers ehrbar. Erst mit der Industrialisierung geriet der Job in Verruf, da nun Lumpen nichts mehr wert waren.
Städte im 19. Jahrhundert
Abwasser werden in die Flüsse abgeleitet oder versinkern im Boden, direkt neben den Trinkwasser-Brunnen. Seuchen breiten sich aus. Ein Problem in allen europäischen Großstädten, aber besonders in London: Die Themse war eine stinkende, dunkelbraune Brühe, eine riesige Jauchegrube. Die Gezeiten der Nordsee verhindern das Abfließen. Nachdem es im Sommer 1858 besonders schlimm war, wurde der Bau einer Kanalisation und Abwasserpumpen beschlossen. Was die Römer zuvor bereits etabliert hatten, kehrte nun zurück. Das Nachsehen hatten die Bauern: Durch die Einführung der Schwemmkanalisation landeten die Fäkalien nicht mehr auf ihren Feldern. Der Kreislauf war unterbrochen.
Beginn des 20. Jahrhunderts
Mit der industriellen Massenproduktion steigen die Müllmengen. Der Abfalleimer tritt auf die Spielfläche: Müll wird nun gesammelt und gezielt entsorgt - was meist hieß: verbrannt. Auch in den Privathaushalten wurde das bisschen, was unbrauchbar geworden war, einfach verbrannt. Übrig bleib nur die Asche. Erste Müllabfuhren entstanden und transportier-ten die Asche aus den Aschetonnen ab. Vor den Städten und Dörfern gab es Müllkippen, in denen unkontrolliert Unrat abgelagert wurde.
In Deutschland wurde der steile Anstieg der Müllmengen unterbrochen durch die beiden Weltkriege. Insbesondere nach dem zweiten herrschte Rohstoffmangel, wodurch wieder dazu übergegangen wurde, so viel wie möglich weiterzuverwenden oder zu recyclen. So wurden zum Beispiel aus Wehrmachthelme Kochtöpfe oder Siebe.
Zeit des Wirtschaftswunder
Auf die Jahre des Mangels folgte das Wirtschaftswunder. Nun regierte der Konsum; nach dem Verzicht wollte man so viel wie möglich neu haben.
Ein neues, billiges und praktisches Material kam auf: Kunststoff. Ein Material, das in der Natur nicht vorkommt und rein vom Menschen gemacht ist. Tausende ver-schiedene Kunststoffe waren auf dem Markt. Und obwohl es äußerst langlebig ist, wurde es haufenweise weggeworfen. Wie schon bei den Öl-Amphoren: Es ist leichter, es neu herzustellen, als es zu recyclen.
1954 wurde die staubfreie Müllabfuhr eingeführt und legte damit den Grundstein für die Abfallentsorgungs-Infrastruktur von heute.
Zweite Hälfte 20. Jahrhundert
Es entsteht das Bewusstsein, dass das Ablagern der Abfälle und des Mülls in kontrollierte Müllkippen vor den Toren der Städte und Dörfer Mist ist - bis heute drohen sie, durch sickerndes Wasser das Grundwasser zu verunreinigen. Zum ersten Mal entsteht eine Müllhierarchie: Müll vermeiden ist oberste Priorität, ansonsten Verwerten. Doch beide Punkte wurden von der Bevölkerung kaum verstanden. Erst große Chemieunfälle und Kampagnen von u. a. Greenpeace sorgten für ein Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung und für die Bereitschaft, für Recycling-Systeme zu bezahlen.
Recycling
Erste Recyclingbemühungen insbesondere in Bezug auf Papier, da hier ein Geschäftsmodell erkannt wurde. Doch die Qualität der Sekundärrohstoffe war zu gering, der Prozess zu teuer. Die Systeme brachen wieder zusammen. Darüber hinaus fehlte eine Akzeptanz gegenüber dem Sekundärrohstoff bei der Bevölkerung: Wenn es drauf an kommt, wollten doch alle lieber das neue. Heute kommt die Papierindustrie nicht mehr ohne Sekundärrohstoffe (also recyceltem Papier) aus. Eine Entwicklung, die 50 Jahre gedauert hat.
Heute: Wegwerfgesellschaft
Die Müllmenge einer Gesellschaft ist Indikator für ihre Wirtschaftskraft: Es wird Weggeworfen, damit die Nachfrage nach Neuem bleibt und sich der Wohlstand mehrt. Je reicher ein Land, desto größer dessen Müllmenge pro Einwohner.
Im Jahr 2020:
480 kg Müll pro Einwohner
Auch wenn Recycling als Thema mittlerweile einen wichtigen Platz einnimmt, hat die Entworgung immer noch Vorrang vor der Weiter- oder Wiederverwertung. Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der die Weiterverwertung nicht im Sinne der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist.
„Es sind häufig nicht unbrauchbare Sachen, die wir auf den Müll werfen, sondern von der Gesellschaft ver-worfene. Was unbrauchbar ist, be-stimmen wir, das hängt nicht von den Eigenschaften des Produkts ab.”
Sabine Wolfram, Prähistorikerin
Mülltrennung:
Was gehört wo hin?
Der beste Abfall ist der, der gar nicht erst anfällt. In einer Stadt wie Schwerin mit mehr als 96.000 Einwohner:innen müssen in regelmäßigem Rhythmus 16.500 Restmüll- und 11.000 Biotonnen geleert werden. Der Abfall wird nach dem Abtransport getrennt, sortiert und entsprechend weiter-verwertet. Alles, was nicht recycelt werden kann, wird verbrannt und die dabei entstehende Abwärme zur Fernwärmeerzeugung und/oder Stromerzeugung genutzt.
Damit möglichst viel recycelt werden kann, ist es wichtig, dass man die Abfälle richtig voneinander trennt und korrekt entsorgt.
GELBE TONNE / GELBER SACK für Verpackungen
Was? Leichtverpackungen, mit dem „Grünen Punkt” lizensierte Verpackungen
Was nicht? Glas, Papier, Pappverpackungen, Verpackungen mit schadstoffhaltigen Resten, Restmüll
Und dann? Aus den Abfällen wird der Kunststoffanteil gewonnen und zu einem neuen Werkstoff recycelt: Systalen. Dieses Granulat wird als Grundlage für Kunststoffprodukte in der Bauwirtschaft, Verkehrstechnik, Logistik etc. verwendet. PET wiederum wird direkt zu neuen Flaschen und Behältern verarbeitet.
Wichtig!
Immer alle Kunststoffe voneinander trennen. Also die Folie der Wurstpackung immer vom festen Plastik abziehen, ebenso die Folie auf dem Yoghurtbecher.
Sonst ist nix mit Recycling!
BLAUE TONNE für Papier
Gehört der Pizzakarton in die blaue Tonne? Ja! Aber nur, wenn er nicht zu dreckig ist, also maximal 1 bis 2 Fettflecken hat. Ist er zu dreckig, gehört er in den Restmüll.
Was? Altpapier
Was nicht? Stark verschmutztes Haushaltspapier, Pergamentpapier, Wachspapier, Servietten, Tapeten, Taschentücher, Fotopapier, Kohlepapier (Restmüll), Getränke- und Milchtüten (Gelbe Tonne)
Und dann? Altpapier und Kartonagen sind ein sehr gefragter Wertstoff. Die Papierindustrie kommt heutzutage nicht mehr ohne den Sekundärrohstoff Altpapier aus. Nach dem Abtransport wird das Altpapier zu transportierbaren Ballen zusammengepresst und verkauft.
BRAUNE TONNE für Bioabfälle
Biologisch abbaubare Kunststoffe, kompostierbare Plastikbeutel, kompostierbare Kaffeekapsel – all das gehört nicht in die Biotonne, da sie industriell nicht sicher kompostierbar sind.
Was? Organische Abfälle
Was nicht? Anorganische Abfälle wie Plastiktüten, Kleintierstreu, Klumpstreu, Baumschnitt/Starkholz, Mörtel, kompostierbare Plastiktüten für Biomüll
Und dann? Nach dem Einsammeln wird der Bioabfall in Behandlungsanlagen vergoren. Dabei entsteht Biogas, das zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt wird.
SCHWARZE TONNE für den Restmüll
Was? Alles, was nicht in die anderen Tonnen gehört und aufgrund von Verunreinigung oder Vermischung nicht mehr verwertet werden kann.
Was nicht? Alles, was in die anderen Tonnen gehört sowie Sondermüll wie Batterien, Akkus, Chemikalien, Druckerpatronen, Elektrogeräte, Farb- und Lackreste, Keramik, Glas, Porzellan, Kleidung, Lösungsmittel, Schrott, Metall
Und dann? Der Restmüll wird unter Anwendung von Magnetismus, der Verwirbelung von Luft und der Infrarottechnik sorrtiert. Dabei werden folgende Abfallfraktionen gewonnen: Metalle, Altpapier, Kartonagen, Kunststoffe, biogener Abfall und eine heizwertreiche Fraktion.
FLASCHEN UND ALTGLAS
In Deutschland darf zur Vermeidung von Lärmbelästigung nur montags bis samstags zwischen 7 Uhr und 19 Uhr Glas in die Sammelbehälter geworfen werden.
Wo? In den Glascontainern/Sammelbehältern,
die über die Stadt verteilt stehen.
Was? Alle Verpackungen aus Glas, aber farblich getrennt nach:
Was nicht? Fensterscheiben, Flachgläser (Bauabfälle), Spiegel, Glühlampen, Porzellan (Restmüll), Leuchtstoffröhren (Problemabfall)
Und dann? Das Altglas wird nach Farben getrennt und in Glasfabriken eingeschmolzen und zu neuen Glasbehältern gemacht.
Elektroschrott
Wo? Öffentliche Sammelstellen an den Recyclinghöfen
Was? Elektrogeräte wie Eletroherde, Waschmaschinen, Spülmaschinen, Kühl- und Gefrierschränke, Fernseher, Radios, Computer, Handys, Rasenmäher, Elektrokleingeräte, Elektrospielzeug, Fotovoltaikelemente
Was nicht? Altmetall, Batterien, Akkus
Und dann? Die Elektrogeräte werden auseinandergebaut und die brauchbaren Rohstoffe zur Weiterverwertung abtransportiert.
Problemabfälle
Wo? Öffentliche Sammelstellen an den Recyclinghöfen
Was? Schadstoffbehaftete Abfälle aus den Haushalten wie z. B. Batterien, Farben, Lacke, Reinigungsmittel, Akkus, Energiesparlampen
„(engl. „von Wiege zu Wiege“, sinngemäß „vom Ursprung zum Ursprung“; abgekürzt auch C2C).
Das Konzept wurde in den 1990er-Jahren vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-Architekten William McDonough erarbeitet. Es ist ein Ansatz für eine konsequente geschlossene Kreislaufwirtschaft, durch die Klima- und Ressourcenprobleme ganzheitlich und langfristig gelöst werden können.
Die C2C Denkschule sieht den Menschen als potenziellen Nützling, der mit seinem Handeln einen positiven Beitrag für Ökologie, Ökonomie und Soziales leisten kann, statt lediglich seine Schäden zu minimieren. Das C2C Designkonzept beschreibt, wie Produkte und Prozesse gestaltet werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Entscheidend ist dabei, für welches konkrete Nutzungsszenario ein Produkt vorgesehen ist. Auf seiner Basis können gesunde und geeignete Materialien ausgewählt werden, die kontinuierlich in biologischen und technischen Kreisläufen zirkulieren.”
Quelle: https://c2c.ngo/lexikon
Eine der Grundlagen des Prinzips Cradle to cradle sind zwei Kreisläufe: der biologische Kreislauf, der Produkte umfasst, die wir bei der Verwendung verbrauchen (wie zum Beispiel Kleidung, Schuhe, Polster – Dinge, die einen Abrieb verursachen) und einen technischen Kreislauf, der Produkte umfasst, die wir nur gebrauchen (wie Waschmaschinen, Fernseher, Fenster).
BIOLOGISCHER KREISLAUF (BIOSPHÄRE)
„Mit diesem Begriff wird die Gesamtheit aller Lebensräume von Organismen auf der Erde bezeichnet. Wir Menschen haben innerhalb der Biosphäre auch technische Kreisläufe geschaffen – die Technosphäre.
Produkte und Materialien, die in die Biosphäre gelangen, müssen biologisch abbaubar sein (Reifenabrieb, Bananenschale). Alle Produkte und Materialien, die nicht biologisch abbaubar sind, dürfen ausschließlich in der Technosphäre zirkulieren (Fahrradrahmen, Laptop). Produkte, die aus biologisch abbaubaren und nicht biologisch abbaubaren Materialien bestehen, müssen so designt und hergestellt sein, dass sich die unterschiedlichen Materialien rückstandslos trennen lassen und innerhalb ihrer jeweiligen Sphären zirkulieren können (Fahrrad, mit Metall verschraubtes Holz). Auch Produkte der Biosphäre sind im Idealfall so designt, dass sie mehrmals im technischen Kreislauf verwendet werden, bevor sie abgebaut werden (Holz-Kaskade: Mehrfachverwendung von Holz, dann als Papier verwendet, erst dann erfolgt der biologische Abbau).”
Quelle: https://c2c.ngo/lexikon
TECHNISCHER KREISLAUF (TECHNOSPHÄRE)
„In der Technosphäre zirkulieren Materialien wie bspw. Metalle oder Kunststoffe, die begrenzt auf der Erde zur Verfügung stehen und daher bei gleichbleibend hoher Qualität erhalten werden müssen. Aber auch nachwachsende Rohstoffe können in der Technosphäre zirkulieren, bevor sie dann wieder in die Biosphäre zurückgehen. Bürostühle können z. B. so hergestellt werden, dass alle eingesetzten Materialien sortenrein und mit geringem Aufwand voneinander getrennt werden können, um sie danach wiederzuverwenden.”
Quelle: https://c2c.ngo/lexikon
BEISPIELE
TECHNISCHER KREISLAUF
DIE WASCHMASCHINE DER ZUKUNFT
Niemand braucht eine Waschmaschine, man braucht nur saubere Wäsche! Waschmaschinen bestehen heute aus 85 verschiedenen Plastiksorten. Recycling ist da unmöglich. Für jede Stelle ist genau ausgerechnet, was da der billigste Kunststoff ist. Wenn man den Menschen aber keine Waschmaschine verkauft, sondern nur das Nutzungsrecht, dann kann der Hersteller anstatt 85 Plastiksorten nur vier verwenden – und zwar an jeder Stelle das beste. Man verkauft also nur 3000 Mal waschen. In der Maschine wäre dann ein Zähler: 90 Grad wären drei Punkte, 60 Grad zwei Punkte und 30 Grad einer. Dann wäscht man bei der niedrigsten Temperatur und packt die Waschmaschine auch voll, denn man bezahlt ja pro Waschgang. Die nicht genutzten Waschgänge kann man auf die neue Maschine anrechnen.
Bei der Idee geht es explizit nicht um die Langlebigkeit der Produkte, sondern um deren definierte Nutzungszeit. Eine Waschmaschine, die 40 Jahre hält, blockiert Innovation, da die neue, die zum Beispiel Mikroplastik zurückhält, nicht auf den Markt kommen würde, da die alte noch da ist. Eine Waschmaschine sollte nach neun Jahren eigentlich ausgetauscht werden. Und wenn sie noch funktioniert, dann tausche ich die veralteten Teile aus und kann sie nochmal einsetzen.
Der Vorteil an diesem Konzept: Der Verbraucher kann qualitativ hochwertigere Geräte nutzen, als er sich vielleicht normalerweise leisten könnte, und der Hersteller behält seine Materialien und weiß, wann sie wieder zur Verfügung stehen – und sie sind so verbaut, dass sie sich in die entsprechenden Kreisläufe zurückführen lassen.
Quelle: Gespräch mit Dr. Michael Braungart
BEISPIELE
TECHNISCHER KREISLAUF
30 JAHRE TERASSENBODEN UND 30 JAHRE DURCHGUCKEN
Wie auch bei der Waschmaschine geht es bei Terassenfliesen ebenfalls um der Verkauf des Rechts auf Verwendung statt des Produkts. Dann weiß der Kunde, dass es 30 Jahre schön bleibt und der Hersteller weiß, wo sein Material ist. Der Kunde wird praktisch nur zur Material-Bank. Diese Idee wird von einigen Firmen tatsächlich schon umgesetzt.
Gleiches gilt für Fenster: Man verkauft nur 30 Jahre Durchgucken und Wärmedämmung. Dann kann der Hersteller das beste Material verwenden, nicht das billigste.
Quelle: Gespräch mit Dr. Michael Braungart
BEISPIELE
BIOLOGISCHER KREISLAUF
TEXTILIEN DER ZUKUNFT
Bei der konventionellen Schuhproduktion kommen oft unterschiedliche Kunststoffe zum Einsatz, die mit teilweise gesundheitsschädlichen Mitteln gefärbt und verklebt werden. Das bringt sowohl Gesundheits- als auch Umweltrisiken mit sich. Durch wiederholte Reibung an der Sohle gelangt dann Mikroplastik in die Umwelt. Am Ende landen diese Schuhe dann im Müll: Durch ihre schlecht trennbaren Materialien und ihr lineares Design können sie nur sehr schwer recycelt werden.
Alles, was verschleißt, wie Schuhsohlen, Bremsbeläge, Autoreifen, sollte also so gemacht werden, dass der Abrieb davon biologisch nützlich ist. Wenn der Abrieb von meinem Schuh in die Elbe gelangt, dann sollten sich die Bakterien, die Pilze und die Algen freuen, weil er so gemacht ist, dass sie da einen Platz dran haben, wo sie sich festhalten können.
Die Zuschnitte bei der Herstellung meines Sessels so giftig, dass man sie als Sondermüll verbrennen muss. Rutsche ich dann auf meinem Stuhl hin und her, lösen sich kleines Teile davon ab und landen in allem drumherum: in meinem Essen, meinem Kaffee, in allem, was ich trinke runterherum, ist der dann drin. Ich esse faktisch gesehen den Bezugsstoff mit. Also suche ich nur Zutaten für meinen Sessel raus, die ich auch essen könnte. Das bedeutet, dass die Zuschnitte als Torf-Ersatz in Gärtnereien gehen könnten, weil sie kompostierbar sind. Und zum Schluss brauche ich keine Kläranlage, denn ich kann das Abwasser hieraus direkt zur Bewässerung verwenden.
Quelle: Gespräch mit Dr. Michael Braungart und https://c2c.ngo/cradle-to-cradle-beispiele/
KOGNITIVE DISSONANZ
In der Schule und im Studium lernen Kinder, Jugendliche und Studierende, wie eine nachhaltige, klimapositive Zukunft aussehen kann, bekommen es durch Programme der BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) beigebracht. Doch sobald sie auf die aktuell existierende Systeme der Welt schauen, zeichnet sich ein anderes Bild: Das, was ihnen als „richtiger Weg“ beigebracht wird, wird in der Realität in den seltensten Fällen umgesetzt. Eine kognitive Dissonanz entsteht – die Folge? Zukunftsängste bis hin zu Depressionen.
Das muss nicht sein! Tatsächlich existiert in der Bevölkerung wahnsinnig viel Nachhaltigkeitswissen – in den Unternehmen fehlt es allerdings oft. Warum nicht anstelle einer teuren Nachhaltigkeitsberatung die Unternehmen mit der Zivilgesellschaft in Kontakt bringen und im Austausch Probleme erkennen, benennen und lösen? Warum nicht die Kinder einen System-Check machen lassen – die Kinder dazu befähigen, mit den Erwachsenen, die ja gerade in den Entscheider-Positionen sitzen, zusammen über genau diese Themen in den Dialog zu treten.
Krise als Chance
Wir versuchen immer, in unserer Komfortzone zu bleiben, denn außerhalb von ihr fühlen wir uns unwohl und unsicher und gehen schnell wieder einen Schritt zurück. Das passiert besonders oft, wenn es um Nachhaltigkeit geht.
Die schnellsten und nachhaltigsten Veränderungen entstehen in der Regel nicht, indem man in aller Ruhe und mit (emotionaler) Distanz die eigenen Wege analysiert – sie passieren, wenn wir unsere Komfortzone verlassen und es eine Krise gibt. Eine Strategie der Nachhaltigkeits-transformation ist also, genau eine solche Krise zu schaffen, indem Pfadabhängigkeiten (also Prozesse, die sich in ihrem Ablauf etabliert und so auch Fehler verfestigt haben) und Disfunktionalitäten in einem Krisenkontext erkannt werden. Dennoch ist Fakt: Wenn die Leitung des Unternehmen einer Veränderung nicht zustimmt, wird sie auch nicht passieren.
„Macht es wie die Bäume – seid klimapositiv!“
In den Nachhaltigkeitsbestrebungen ist fast immer von Klimaneutralität die Rede. Hand in Hand geht das mit Forderungen der Reduzierung. Doch ist „weniger schlecht“ wirklich gut?
Von Klimaneutralität ist die Rede, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung die Umwelt nicht mit Treibhausgas-Emissionen belastet, also keinen negativen ökologischen Fußabdruck hat. Meistens wird das allerdings durch Klimakompensationen erreicht – das bedeutet, dass man das bereits ausgestoßene Treibhausgas auf andere Weise kompensiert, meist finanziell.
Klimapositivität geht noch einen Schritt weiter: Es wird nicht nur ein negativer ökologischer Fußabdruck verhindert, sondern zusätzlich sogar noch ein Nutzen für die Umwelt geschaffen, indem zum Beispiel zusätzliches Treibhausgas aus der Atmosphäre entfernt wird. Ein Beispiel dafür sind die C2C-Schuhe: Aus dem Abrieb ihrer Sohle kann die Natur Nährstoffe gewinnen und neue Pflanzen wachsen lassen, anstatt die Umwelt mit Mikroplastik zu belasten.
Prosument statt Konsument
Als Produzent stelle ich Dinge her, nutze sie aber selber nicht. Produzent:innen wissen ganz genau, wie aufwändig die Produktion war, was da alles drin ist, wie viel Arbeit da reingeflossen ist?
Als Konsument, also Endverbraucher, nutze ich die Dinge und verbrauche sie dabei. Wenn ich allerdings die Dinge nur konsumiere, sehe ich nicht, was alles dahintersteckt. Konsument sein bedeutet passiv sein
Der Begriff des Prosumenten ist eine Wortkreuzung der Begriffe Konsument und Produzent. Der Prosument wird in seinem Verbrauch aktiv, der er macht zwei Dinge gleichzeitig: Er konsumiert und produziert gleichzeitig. Dabei wird ihm die Wertigkeit dessen, was er konsumiert, bewusst.
Am Beispiel von Stoff: Indem Das Publikum selber in Mini-Workshops am Geschehen des Theaterabends teilnimmt – und zum Beispiel die Bühne aufräumt – wird es aus der passiven Rolle des Konsumierens herausgeschubst in eine aktive, die Einfluss auf den Verlauf des Abends hat, somit das Stück in Teilen selber „produziert“.
Effizienz, Suffizenz und Konsistenz
Effizienz zielt auf eine ergiebigere Nutzung von Rohstoffen und Ressourcen ab, häufig durch technische Innovationen. Beispiel: Beispiel: der Wechsel von der Glühbirne zu LED.
Suffizienz strebt einen geringeren Verbrauch von Ressourcen wie Energie und Material an, indem Menschen weniger konsumieren und weniger Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Suffizienz versucht also nicht, bestehende Bedürfnisse mit weniger oder anderen Ressourcen zu befriedigen, sondern sie hinterfragt die Bedürfnisse selbst. Beispiel: Statt eine Waschmaschine zu besitzen, teile ich sie mir (oder nutze die Waschmaschine der Zukunft).
Konsistenz sucht nach alternativen Technologien und Stoffen, die besser für Natur und Umwelt sind als bisherige und versucht, Kreisläufe von der Herstellung über Nutzung und Recycling bis hin zur Wiedernutzung zu schließen. Beispiel: Ein Unternehmen verkauft Getränke in Mehrwegflaschen statt in TetraPaks.
Dies ist eine der Strategien, um die nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Quelle: https://www.bund-bawue.de/themen/mensch-umwelt/nachhaltigkeit/nachhaltigkeitsstrategien/
Der Mensch – ein Gewohnheitstier?
Man sagt immer, dass der Mensch ein Gewohnheitstier sei: Wir sind die Dinge so gewohnt, deshalb sollten sie so bleiben. Diese Interpretation des Begriffs verzerrt aber, was eigentlich damit gemeint ist: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, denn er kann sich sehr schnell an neue Dinge anpassen. Und sich an etwas neues zu gewöhnen geht noch schneller, als das alte zu vergessen. Wie schnell hat man sich an das Tragen von Corona-Masken? Wie schnell hat man sich das wieder abgewöhnt? Der Mensch ist sehr gut darin, sich an neue Gegebenheiten anzupassen – und das ist eine riesige Chance! Darüber hinaus sind wir von vielen Kreisläufen umgeben, die wir nur bewusst wahrnehmen müssen: der Sonnenumlauf innerhalb eines Tages, die Jahreszeiten, die Mondphasen …
PARADIGMENWECHSEL
Müll braucht einen Paradigmenwechsel. Müll an sich ist ein (noch recht junges) etabliertes Konzept. Wenn man die Idee des Mülls als Endstation von Produkten umdenkt und stattdessen Müll als Rohstoff und Wertstoff ansieht, verändert sich schon unser Verhältnis dazu. Das sieht man gut am Beispiel des Plastiks: Früher absolutes Wundermittel, das gefühlt alles kann, jetzt Verursacher großer Umweltkatastrophen. Dabei ist Plastik ansich nicht schlimm – nur Verbrauchs- und Wegwerfplastik, das aus verschiedenen Sorten besteht, sich nicht mehr trennen und somit nicht recyclen lässt. Plastik ist ein technisches Ding, das nicht für die Natur bestimmt ist. Wenn wir es so herstellen, dass es sich danach in den technischen Kreislauf zurückführen lässt (wie z. B. PET-Flaschen), dann landet es auch nicht in der Natur.
Das Design der Zukunft
Der Begriff des Designers und der Designerin haben sich verändert – und mit ihm auch der Begriff von Ästhetik: Design heißt jetzt nicht mehr klassisch Produktdesign, sondern Systemdesign, Prozessdesign, Kreislaufdesign.
Designer:innen von morgen denken Produkte gekoppelt an ihre Stoffströme, Ressourcen und Geschäftsmodelle. Damit verändert sich auch die Idee von Ästhetik: Ästhetisch ist nicht mehr, was im Auge der (subjektiven) Betrachter:innen „schön“ aussieht. Ästhetisch ist, was Stoffkreislauf, Produkt und Geschäftsmodell klug zusammendenkt und clever löst.
Quelle: Gespräch mit Veronika Busch, Expertin für Nachhaltigkeitstransformation
Unser Ziel sollte sein: der positive Mensch, der Erdling, in dessen Fußstapfen Blumen wachsen.
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